Das Wichtigste in drei Sätzen:
Marketing und Kommunikation müssen Werte und Emotionen transportieren, um Marken-Mehrwert zu schaffen.
7 von 10 getesteten Bierkampagnen vermitteln irrelevante oder gar keine Werte und Emotionen.
Mit Emotional Territories lassen sich die richtigen Werte und Emotionen ermitteln.
7 von 10 Kampagnen machen Ihren Job nicht – hier ist die Wissenschaft dahinter
Erinnern Sie sich an die Bierwerbung „… die so schön hat geprickelt in meine Bauchnabel?“ (Zur Erinnerung: hier) Seither ist viel Zeit gegangen. 2017 sah die Werbung für die gleiche Marke so aus:
Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum diese (und viele andere Spots) Sie gefühlsmäßig überhaupt nicht berühren? Wir schon. Uns liegt dabei nicht der Unterhaltungswert von Werbung am Herzen, sondern ihr wirtschaftlicher Sinn und Zweck. Gerade in einem wettbewerbsintensiven Markt wie dem Biermarkt (aber auch bei praktisch allen anderen Branchen) sollte Werbung das aufbauen, was man zu Recht „Markenwerte“ nennt: nichtrationale Inhalte – Werte und Emotionen – die den Mehrwert der Marke ausmachen. Und damit ihren Mehrpreis rechtfertigen.
Welche Werte und Emotionen sind die richtigen? Schaffen es die Bierkampagnen, die relevanten Emotionen abzurufen? Diese Fragen sind wichtig genug, um sie mit wissenschaftlichen Mitteln anzugehen. Also haben wir die relevanten Werte und Emotionen für Bier ermittelt und 10 Kampagnen aus 2017 getestet.
Spoileralarm: Bierwerbung schafft ihre Aufgabe leider nicht (mehr)
Die meisten Kampagnen bedienen die falschen oder in viele Fällen sogar gar keine relevanten Werte und Emotionen.
Hintergrund: Schrumpfender Markt, verfallende Werbewirkung
Beginnen wir mit dem Gesamtbild: In den letzten 10 Jahren ist der Bierabsatz in Deutschland von 88,503 Mio. hl auf 77,210 Mio. hl (-12,8%) gesunken. Der Umsatz ist nicht ganz so stark zurückgegangen. Aus 8,19 Milliarden wurden 7,843 Milliarden € (-4,2%). Um die Verluste auszugleichen, haben die Brauer hauptsächlich zwei Maßnahmen ergriffen: mehr Sonderangebote und mehr Werbung. So liegt laut BV GFGH der Promotionsanteil bei den nationalen Biermarken bei mehr als 2/3. 2015 waren es sogar 76,3%. Die Werbeausgaben der Branche betrugen 2017 416 Millionen Euro (+4,3% im Vergleich zu 2010). Der Anstieg erscheint moderat. Doch betrachtet man die Zahlen genauer, offenbart sich etwas Erschreckendes:
Der Werbe-Euro hat massiv an Kaufkraft verloren
„Verkaufte“ ein Werbe-Euro vor 10 Jahren noch über 22 Liter Bier, so waren es 2017 nur noch 18,6 Liter. Das sind satte 16% weniger. Warum ist das so? Warum gelingt es der kumulierten Kraft von über vier Milliarden Euro nicht, den Menschen mehr Bier zu verkaufen. Es ist sogar eher umgekehrt: Je mehr geworben wird, desto weniger Bier wird verkauft.
Weniger Absatz
Weniger Umsatz
Mehr Werbung
Deutlich weniger Wirkung
Mehr Werbung als Hopfen und Malz
Fun Fact am Rande: Der Anteil der Werbekosten ist immens. In Bier steckt mehr Werbung als Hopfen und Malz. Eine so wichtige Zutat sollte mindestens eben so viel Charakter geben wie die eigentlichen Ingredentien.
Marken mit Emotionen wieder wertvoll machen
Die richtigen Werte und Emotionen können Mehrwert aufbauen, der über den Materialwert hinaus geht. Deshalb ist es prinzipiell auch richtig, so viel Werbegeld in jede Flasche Bier zu stecken. Aber nur dann, wenn die Werbung die relevanten Werte und Emotionen adressiert. Im Fall von Bier tut sie das nicht. Und das lässt sich beweisen.
Die richtigen Werte und Emotionen – so fühlt sich Biertrinken an
Wir haben mit unserem Tool „Emotional Territories“ ermittelt, welche Werte und Emotionen Menschen mit Bier verbinden. Dazu wurden repräsentativ über 1.000 Personen mit 52 Werten und Emotionen konfrontiert. Der Algorithmus hat die Antworten auf Muster untersucht und 5 Wertefelder ermittelt sowie deren Struktur ermittelt. So entstand eine sogenannte „Emotionale Landkarte“, die genau zeigt, welche Werte und Emotionen für wie viele Menschen relevant sind. Mehr zur Methode, und warum sie mit 52 Werten und Emotionen fast unendlich viele Gefühle unterscheiden kann, finden Sie hier.
Das Ergebnis der Studie zeigt: Bier besetzt insgesamt 5 Wertefelder mit teilweise komplexen Sub-Strukturen.
Die 5 Wertefelder sind (nach abnehmender Zustimmung):
- Heimat (grün)
- Geselligkeit (orange)
- Verwöhnen (rot)
- Belohnen (blau)
- Individualismus (braun)
Die Top-Ten-Marken im Test
Im Anschluss haben wir die Kampagnen der Top-Ten-Biermarken überprüft: Den Testpersonen wurden die wichtigsten Werbemittel (meist TV-Spots) des Jahres 2017 gezeigt und sie wurden gebeten, diese Kampagnen auf der Emotionalen Landkarte zu verorten. Dazu konnten sie jede einzelne Kampagne entweder einzelnen Werten und Emotionen oder – falls möglich – den komplexeren aber aussagekräftigeren Wertekombinationen zuordnen. Zusätzlich hatten sie noch die Möglichkeit, die Kampagne außerhalb der Landkarte einzuordnen. Untersucht wurden die Kampagnen von Beck’s, Bitburger, Holsten, Jever, König Pilsener, Krombacher, Radeberger, Schöfferhofer, Veltins, Warsteiner.
Die Ergebnisse wurden in Heatmaps visualisiert. Rote Bereiche zeigen, wo die meisten (relative oder absolute Mehrheit) der Nennungen liegen. Gelbe Bereiche sind Werte und Emotionen mit mittlerer Ausprägung für die jeweilige Marke. Die blauen Bereiche wurden nur sporadisch mit der getesteten Marke in Zusammenhang gebracht.
Kampagnen, die aus nichts bestehen
Bei drei der getesteten Kampagnen (Warsteiner, Schöfferhofer, König Pilsener) lagen über 50% aller Nennungen der Testpersonen außerhalb der Emotionalen Landkarte! Außerhalb der Landkarte bedeutet: Die Kampagnen lösen entweder gar keine Emotionen aus oder sie sprechen Werte und Emotionen an, die für Bier nicht relevant sind (und deshalb nicht auf der Karte vorkommen). In Bezug auf Werte und Emotionen gesehen, bestehen diese Kampagnen hauptsächlich aus – nichts!
Sie machen keine relevante Aussage in Richtung Werte oder Emotionen.
(zum Betrachten der Kampagnen und der Heatmaps einfach auf die entsprechende Marke klicken)
Schöfferhofer
Die Kampagne: Dachgartenparty mit Meerjungfrau. Jetzt ansehen
Die Heatmap: Hauptsächlich nichts mit sporadischer Ausgelassenheit, Lust und Selbstbewusstsein. Plus ein kleines bisschen Hoffnung.
König Pilsener
Der Spot: Ab auf die Couch! Jetzt ansehen
Die Heat-Map: Hauptsächlich nichts mit ein wenig Zufriedenheit und einer Spur von Lust, Ruhe und Zufriedenheit
Viel Nichts – und viel Allgemeines
Bei zwei weiteren Kampagnen – denen von Radeberger und Jever – hat „Nichts“ zwar nicht absolute Mehrheit der Nennungen, ist aber nach wie vor die hauptsächliche Zutat der Kampagne. Sowohl Radeberger als auch Jever gelingt es immerhin, einen emotionalen Schwerpunkt zu setzen. Allerdings handelt es sich dabei um sehr allgemeine Werte und Emotionen. Radeberger vermittelt das Gefühl von „Tradition“, während Jever seinen Schwerpunkt bei dem Wert „Natürlichkeit“ setzt.
Dass es sich bei diesen Werten um sehr allgemeine und unspezifische Werte handelt, lässt sich daran erkennen, dass sich die Nennungen der Testpersonen hauptsächlich auf die Basis-Items beziehen und nicht auf die spezifischeren Werte-Kombinationen innerhalb der einzelnen Wertefelder.
Radeberger
Die Kampagne: Wir beschreiben das Bier, indem wir den Kunden beschreiben. Jetzt ansehen
Die Heatmap:Die meisten Nennungen außerhalb der Karte, aber ein deutlicher Schwerpunkt bei Tradition und ein Aufflackern, wenn es um Leistung und Herausforderung geht.
Jever
Die Kampagne: Gemeinsames Biertrinken am Nordseestrand. Jetzt ansehen
Die Heatmap: Viel nichts und viel Natürlichkeit, etwas gemeinsame Auszeit und Zufriedenheit
Der Versuch, Kategoriewerte zu besetzen
Ähnlich, wenn auch viel deutlicher ausgeprägt, ist das bei den Marken Krombacher und Bitburger: Beide Marken besetzen ein Basisgefühl – Natürlichkeit. Krombacher gelingt das sogar besonders gut. Das Item „Natürlichkeit“ hat in der „Emotional Territories“-Analyse eine Zustimmung von 81,0% erfahren und gehört damit zu den Biergefühlen mit der höchsten Akzeptanz. Das klingt wie eine gute Nachricht, macht die Kampagnen aber nicht zum Selbstläufer. Denn Werte wie „Natürlichkeit“ (aber auch „Tradition“ und „Freundschaft“) sind gerade wegen ihrer weiten Verbreitung eher als Hygienefaktor zu verstehen. Es dürfte schwierig sein, sich mit solchen Werten zu differenzieren. Und noch schwieriger, mit ihnen echten Mehrwert aufzubauen. Für diese These spricht, das beide Marken ihren Erfolg mit sehr aggressiven Preis-Promotions und/oder Gewinnspiel- und Sponsoring-Aktivitäten unterstützen bzw. unterstützen müssen.
Krombacher
Die Kampagne: Der Klassiker – Insel, Wald plus drei Biertrinker. Jetzt ansehen
Die Heatmap: Fast nur Natürlichkeit. Mit ein sporadischen Nennungen im Wertefeld „Geselligkeit“. Und endlich ist das Nichts praktisch verschwunden.
Bitburger
Die Kampagne: Hopfenfelder und Biertrinken. Jetzt ansehen
Die Heatmap: Ein Schwerpunkt auf der Natürlichkeit. Ansonsten viel nichts und sporadisch aus fast jedem Wertefeld ein bisschen etwas.
Zwischenfazit: Wert-leer statt wert-voll
Wenn eine Kampagne es nicht schafft, Werte für die Marke aufzubauen und zu besetzen, oder lediglich Hygiene-Faktoren – also Selbstverständlichkeiten – kommuniziert, ist es nicht verwunderlich, dass die Marke in den Augen der Konsumenten nicht wertvoll erscheint. Die Folge: sinkende Preisbereitschaft auf der einen Seite und die Flucht ins Sonderangebot auf der anderen. So führt Wertearmut zum Wertverfall einer Marke. Und so erklärt sich auch der hohe Promotion-Anteil.
Es geht auch anders – spezifische Werte und Emotionen als Grundlage der Positionierung
Drei Marken – Veltins, Holsten und Beck’s – gehen offensichtlich einen anderen Weg. Sie besetzen in den Augen (oder den Herzen) der Konsumenten eine andere Art von Werte und Emotionen – und zwar komplexere, spezifischere, die auch ein höheres Differenzierungs- und Wertschöpfungspotenzial haben.
Die Veltins-Kampagne thematisiert Gefühle, die vor nicht allzu langer Zeit der Marke König Pilsener zugeordnet werden konnten: Leistung, Ehrgeiz und darüber hinaus die Freude am Gewinnen bzw. Achievement im Allgemeinen. Dazu passt der Claim „Pure Leidenschaft. Frisches Veltins.“ nicht unbedingt. Dies legt den Schluss nahe, dass Veltins sich eher zufällig als Gewinner positioniert hat. Die 2018er Kampagne bestätigt diese Annahme, da sie den vielversprechenden Ansatz komplett aufgibt und in eine ganz andere Richtung geht. Sie lässt sich wohl am besten durch die Handbewegung der Dame in der letzten Szene zusammenfassen. Schade eigentlich.
Holsten geht einen anderen Weg. Dort hat man sich zwar ebenfalls für das Wertefeld „Belohnen“ entschieden und besetzt dort Werte wie Leistung, Fleiß und Ehrgeiz aber auch „höhere“ Wertekombinationen wie „Sich etwas erarbeiten“ bzw. „Richtig gute Arbeit.“
Dies kann eine gute Basis sein, um eine Nische – die Akzeptanz dieser Werte liegt im Durchschnitt bei 34%, die der Kombination ist logischerweise mit 17,6% bzw. 10,6% noch geringer – glaubwürdig zu bedienen. Mit ihrer Marke „Astra“, die die Nische des „Outlaws“ (17,0%) besetzt, ist der Holstenbrauerei ja bereits etwas Ähnliches gelungen.
Breiter positioniert ist die Marke Beck’s. Sie konzentriert sich auf das Wertefeld „Geselligkeit“ (durchschnittliche Akzeptanz der Werte: 76,5%), ohne sich in dessen Allgemeingültigkeit zu verlieren. Das ist übrigens Warsteiner passiert. Dort wurde die ohnehin schon sehr deutungsoffene Emotion „Freundschaft“ zu einem noch konturloseren Bekanntschaftsgefühl banalisiert.
Wie macht Beck’s das? Es fällt auf, das die Mehrzahl der Nennungen für Beck’s nicht auf den Einzel-Items liegt. Die sind zwar allesamt relevant, gehören aber eher zu den Hygienefaktoren. Beck’s schafft es, hauptsächlich die komplexeren Gefühle abzurufen, die das Wertefeld „Geselligkeit“ ausmachen: Werte und Emotionen, die aus bis zu 10 Einzel-Items bestehen, also sehr spezifisch sind.
Veltins
Die Kampagne: Vignetten aus Sport, Kultur und Privatleben. Jetzt ansehen
Die Heatmap: Ziemlich konsistenter Schwerpunkt auf den (Nischen-) Werten Leistung, Stolz und Gewinner. Ergänzt durch Spaß und Ausgelassenheit und anderen sporadischen Nennungen
Holsten
Die Kampagne: Harte Männer, harte Arbeit, gutes Bier. Jetzt ansehen
Die Heatmap: Sehr konsistent unterwegs im Wertefeld „Belohnung“ – man besetzt Werte wie „Richtig gute Arbeit“ oder „Etwas erarbeiten“. Sowohl in der Kombination als auch bei den zugrunde liegenden Items. Die relativ vielen Nennungen bei „Nichts“ lassen sich vielleicht durch den Nischencharakter des Wertefelds „Belohnung“ erklären.
Beck’s
Die Kampagne: Unterwegs ins Ich – (fast) ohne Segelschiff. Jetzt ansehen
Die Heatmap: Erfolgreich ein großes Wertefeld besetzt. Und zwar nicht nur die allgemeinsten Werte, sondern vor allem auch die „höheren Kombinationen“.
Fazit: Werte schaffen Wert
Es ist die Aufgabe von Marketing und Kommunikation eine Marke mit Werten und Emotionen aufzuladen, um sie wertvoll zu machen. Dies kann nicht gelingen, wenn entweder keine oder nicht relevante Werte und Emotionen angesprochen werden.
Es ist auch nur wenig sinnvoll, unspezifische Basisemotionen zu adressieren. Natürlich steht Bier für Natürlichkeit und Geselligkeit. Dies sind Basisfaktoren, deren Erfüllung keinen Mehrwert produziert. Sie können aber – wenn sie spezifiziert bzw. ergänzt werden – die Basis für eine eigenständige, Mehrwert produzierende Positionierung sein.
Was tun? (Gilt nicht nur für Brauereien)
Marketing und Kommunikation sollen Werte und Emotionen für die Marke schaffen. Der Mehrwert rechtfertigt den Mehrpreis. Diese Logik gilt nicht nur für die Bierbranche.
Jeder, der für seine Marke Mehrwert durch Werte und Emotionen schaffen will, sollte sich ganz sicher sein, die relevanten Wertefelder für seine Marke oder Branche zu kennen. Intuition und Bauchgefühl sind dabei fehl am Platz. Werte und Emotionen sollte man nüchtern betrachten und mit wissenschaftlich basierten Tools wie Emotional Territories exakt messen und beschreiben. Aus diesem Wissen kann dann Kommunikation entstehen, die Ihre Marke wertvoller macht.